- Noch vor zwei Jahren, während der Fußball-WM hatten wir drei, vier Führungen pro Woche - sagt Łukasz Hudziec, vom Beruf Historiker und Fremdenführer bei Free Walking Tour Foundation, der englischsprachige Gruppen durch Breslau führt. – Heute haben wir unter der Woche zwei Gruppen pro Tag. Und an den Wochenenden führen wir sogar drei oder vier Gruppen täglich.
Der junge Breslauer meint, dass Breslau für die Touristen vor allem durch seine Lage attraktiv ist – es liegt relativ nah an Prag und Berlin, an der Kreuzung der Straßen von Deutschland und Tschechien nach Krakau und Warschau.
- Die Ausländer besuchen Breslau quasi auf dem Weg, für sie ist es eine normale mittelgroße europäische Stadt – sagt Łukasz Hudziec. – Erst vor Ort erfahren sie über seine komplexe Geschichte, begeistern sich für die vielfältige Architektur, entdecken die Atmosphäre. Viele bedauern, dass sie keinen längeren Aufenthalt in Breslau eingeplant haben, es war ihnen so gut hier. Krakau ist überfüllt und Breslau – wie einer von ihnen sagte – sei ein "unentdecktes Kleinod".
Amerikaner von Google und Spanier aus Białystok
Allein in der letzten Woche hat Łukasz durch Breslau Australier und Kanadier geführt, oft kommen auch Amerikaner, Britten und immer mehr Skandinavier.Die Spaziergänge mit Führung besuchen Ausländer, die bei Konzernen arbeiten, die ihren Sitz in der Hauptstadt Niederschlesiens haben, u.a. von Google.- Viele kommen mehrere Male. Sie entscheiden sich für verschiedene Routen und Themen, um besser die Vergangenheit der Stadt kennenzulernen – sagt der Breslauer.Im September wird Breslau von Studenten gestürmt, die im Rahmen des Stipendienprogramms Erasmus an die Weichsel kommen. In der Freizeit bereisen viele von ihnen das Land. Nach Breslau kommen u.a. Spanier aus Białystok, Rzeszow und Lublin. Die meisten ausländischen Besucher sind Personen knapp über zwanzig oder solche, die über 55 Jahre alt sind.Ein Teil der Ausländer kommt nach Polen, weil sie bei sich zu Hause Polen getroffen haben, die ihr Land sehr lobten.Łukasz: - Es genügt, dass ein Pole ins Ausland fährt, er wird gleich zu einem treuen Botschafter seines Landes, obwohl er früher in seiner Heimat über alles gemeckert hat.Die Fremdenführer von Free Walking Tour Foundation haben mehrere Themenrouten: Altstadt, das Jüdische Breslau, Street Art – diese Tour führt u.a. durch Nadodrzebzw. das sozialistische Breslau (sie zeigen dann die Bebauung von Nowy Targ und die sog. Sedesowce/dt. Klodeckelhäuser). Auf der Bierroute liegen Spiż und Piwnica Świdnicka, es bietet allerdings auch Gelegenheit für die Erzählung über den Bierkrieg aus dem 14. Jh., der zwischen den Geistlichen und der Stadt geführt wurde und in die sich sogar der amtierende Papst einmischte.
Pilecki und Volkstrachten
- Die Ausländer wissen, dass sie eine polnische Stadt besuchen. Bei den reisenden Amerikanern und Australiern handelt es sich meistens um gebildete Menschen, die über die Nachkriegsgeschichte in unserem Teil Europas bescheid wissen – sagt der Breslauer Fremdenführer.Diejenigen, die schon Krakau gesehen haben, fragen nach dem Getto, das es im deutschen Breslau nicht gab. Einer der Führer wurde durch die Bitte von zwei Spanierinnen überrascht, die polnische Volkstrachten anprobieren wollten. Ein anderer wiederum hatte viel Mühe, einer Chinesin den Heiligenkult im katholischen Glauben zu erklären. Der Gegenstand ihrer Fragen war das Haupt von Johannes dem Täufer im Breslauer Wappen.
Im Frühjahr besuchten Breslau Mitarbeiter eines indischen Filmteams. Sie kamen in den Kopernikuspark, wo sich ein Denkmal von Rittmeister Pilecki befindet. Der Regisseur aus Bollywood stellte fest, die Vita des legendären Insassen von Auschwitz und nach dem Krieg – Gefangenen des kommunistischen Regimes wäre eine spannende Filmstory und er selbst würde sie liebend gerne verfilmen.
Während der Spaziergänge bemerken die deutschen Touristen Architekturelemente, die für ihre Kultur charakteristisch sind, ebenso die Tschechen – sie finden Spuren der böhmischen Herrschaft in Niederschlesien.Łukasz Hudziec: - Für einen großen Eindruck sorgt immer die Markthalle, ihre monumentale Gestalt und bunte Stände. Unsere gotischen Bauwerke können sogar das Interesse von Italienern oder Spaniern entdecken, obwohl sie eine sehr reiche Architektur haben .
Sehen Sie die Markthalle durch die Hintertür – Unbekanntes Breslau
Boom für Zwerge und Street art
Die Fremdenführer haben manchmal Führungen, bei denen sich die Rollen umdrehen und sie mehr zuhören als erzählen. Łukasz führte zwei Damen, die kurz nach dem Krieg in jüdischen Familien auf die Welt gekommen waren – eine wohnt heute in Israel, die andere kam aus Kalifornien.- Es war sehr ergreifend, wie sie die Orte wiedererkannten, die sie aus ihrer Kindheit kannten. Sie erzählten, wo sie Eis essen gingen und wo sie als Mädchen spielten – sagt der Führer. Ein anderer traf einen Journalisten aus der Agentur Reuter, einen Street-Art-Freak. Er zeigte ihm den Breslauer Stadtteil Nadodrze und versuchte sich so viel wie möglich über die Geschichte, Techniken und das Phänomen Street art zu merken.Zu einem echten touristischen Hit unter den ausländischen Besuchern wurden die Zwergenfiguren, die für die Breslauer bereits zum Alltag gehören. Die Touristen aus Asien oder aus dem Westen reagieren mehr als enthusiastisch, wenn sie einen weiteren Wichtel entdecken.Nicht immer enden die Spaziergänge nach den vereinbarten zwei und halb Stunden. Nach der Besichtigung geht oft der Führer zusammen mit den Gästen Mittag essen oder auf ein Bier, wo nicht selten nähere Bekanntschaften geknüpft werden.
Ein Stadtführer bekam neulich einen Film über Fritz Haber geschenkt. Der Nobelpreisträger war nicht nur Erfinder der Kunstdünger, sondern auch Kampfgase, die im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurden. Den Film hat ihm eine Amerikanerin geschickt, die er durch Breslau geführt hatte. – Sie erinnerte sich an Haber nach unserem Spaziergang – sagt der Breslauer.
Łukasz Hudziec: - Es gibt Städte in Polen, die über starke Marken verfügen wie Krakau, Warschau oder Zakopane. Breslau arbeitet noch im Bewusstsein der Ausländer an einer Position als touristisch attraktive Stadt, allerdings wird diese Gestaltung immer besser.
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